Trotz Herausforderungen bietet Brasilien Stabilität und Chancen für ausländische Forschende

© DWIH São Paulo

Am Roundtable des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH) São Paulo, der am 9. Juli im Rahmen der 76. Jahrestagung der Brasilianischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (SBPC) stattfand, nahmen brasilianische und deutsche Expertinnen und Experten teil, die die Attraktivität Brasiliens für ausländische Forschende diskutierten. Sie kamen zu dem Schluss, dass es noch Herausforderungen zu überwinden gilt, das Land aber gleichzeitig Stabilität und Chancen für ausländische Forschende bietet, die sich für eine wissenschaftliche Karriere in Brasilien entscheiden.  

Es diskutierten die deutschen Wissenschaftlerinnen Stephanie Dahn Batista, Professorin an der Bundesuniversität Paraná (UFPR) und Judith Hoelzemann, Dozentin an der Bundesuniversität Rio Grande do Norte (UFRN) und stellvertretende Koordinatorin des Nationalen Wissenschafts- und Technologieinstituts (INCT) Klimapolis. Die brasilianische Perspektive wurde repräsentiert durch Rui Oppermann, ehemaliger Rektor der Bundesuniversität Rio Grande do Sul (UFRGS) und Leiter der Abteilung für internationale Beziehungen bei der Förderagentur Capes, sowie durch Dalila Oliveira, Professorin an der Bundesuniversität Minas Gerais (UFMG) und Leiterin der Abteilung für institutionelle und internationale Zusammenarbeit und Innovation bei dem nationalen Forschungsrat CNPq. Moderiert wurde die an der Bundesuniversität Pará (UFPA) durchgeführte Veranstaltung von Renato Janine Ribeiro, Professor an der Universität São Paulo (USP) und Präsident der SBPC. 

Die beiden deutschen Einwanderinnen, die heute als Dozentinnen in Brasilien tätig sind, wurden im Vorfeld darum gebeten, ihre Erfahrungen zu schildern und insbesondere sowohl auf die mit einer wissenschaftlichen Karriere verbundenen Vorzüge, als auch auf die Schwierigkeiten einzugehen. Die Vertreter der Förderinstitutionen diskutierten die von den Entscheidungsträgern ergriffenen Maßnahmen zur Internationalisierung der brasilianischen Hochschulbildung und zur Gewinnung ausländischer Forschender. 

Den Anfang machte Stephanie Batista und erzählte, dass sie schon relativ früh ihren ersten Kontakt zu dem Land hatte. „Ich lernte zuerst das ländliche Brasilien kennen. Als ich vierzehn Jahre alt war, nahm ich an einem internationalen Projekt teil, das mich in den Süden von Ceará führte. Dort beschäftigten wir uns mit der brasilianischen und der Sertanejo-Kultur“. Dieses Erlebnis führte dann 2001 zu einer Magisterarbeit über die brasilianische Malerin Anita Malfatti an der Universität Münster, wobei ein Teil der Feldforschung an der Universität São Paulo durchgeführt wurde. „Ich habe die intellektuelle Crème de la Crème der USP kennengelernt und das hat großen Eindruck hinterlassen“, erinnerte sie sich. Nach ihrem Magisterstudium promovierte sie an der UFPR und wurde dort mit 33 Jahren Professorin.  

„Ich bin mit meinem Mann und unseren beiden Töchtern 2003 eingewandert und habe 2007 mit 33 das Auswahlverfahren für den öffentlichen Dienst an der Hochschule geschafft. Das ist ein Pluspunkt für Brasilien, hier kann man schon jung unbefristet an der Universität beschäftigt werden. In Deutschland sieht das etwas anders aus“, so die Professorin, die heute stellvertretende Leiterin der Abteilung für Kunst, Kommunikation und Design an der UFPR ist. „Innerhalb von Lehre, Forschung und weiterführenden Kursangeboten hat man große Freiheit, um im Hinblick auf einen gesellschaftlichen Wandel tätig zu sein und auch um Kooperationen aufzubauen – insbesondere in der Kunst, meinem Fachbereich“, erläuterte sie.   

„Jedoch gibt es auch mehrere Herausforderungen, zum Beispiel der große Bedarf an guter Hochschulbildung und die verfügbaren, jedoch unzureichenden Budgets. Die Ausgaben gehen über meinen Tisch und ich kenne die Zahlen genau, insbesondere im Kulturbereich, und sie sind nicht sonderlich gut. Darüber hinaus gibt es noch den Aspekt der stärkeren Inklusion [von Studierenden] angesichts der wirtschaftlichen Ungleichheit“, führte sie aus. 

 Eine Deutsch-Portugiesin in Brasilien  

Die Professorin Judith Hoelzemann kam nach dem Ende ihres Promotionsstipendiums am Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) in Hamburg nach Brasilien. „Viele von uns kommen früher oder später in diese Situation. Mein Betreuer sagte zu mir: ‚Ich habe keine Mittel, um dich weiter zu beschäftigen. Aber falls du für einige Monate nach Brasilien gehen möchtest, gibt es dort eine sehr interessante Forschungsgruppe und du könntest dort sogar deine Doktorarbeit fertigstellen‘“, erzählte sie. Hoelzemann, eine Deutsche, die ihre Kindheit in Portugal verbracht hat, sagte zu und begann 2004 ihre Forschung am Nationalen Institut für Weltraumforschung (INPE) in Cachoeira Paulista. 

Nach der Promotion erhielt sie ein erstes Angebot für einen Post-Doc am Zentrum für Wettervorhersage und Klimastudien (CPTEC) in einer Forschungsgruppe zum Thema Luftqualität und Atmosphärenchemie. Danach kam ein weiteres, wieder am INPE, bis ihr Arbeitsvisum fast abgelaufen war. „Meine brasilianischen Kollegen sagten zu mir, ich solle an einem Auswahlverfahren für den öffentlichen Dienst an einer Bundesuniversität teilnehmen. Im April 2011 wurde ich dann ausgewählt. Ich war mit 38 etwas älter als Stephanie, aber diese berufliche Stabilität wirkt sich sehr positiv auf unsere Arbeit aus. In Deutschland ist das um einiges schwieriger“, erklärte sie.  

Trotzdem sieht sie auch die Schwierigkeiten: „Die Anforderungen der Bundesuniversitäten an die Professoren erschweren die Forschung beträchtlich. Ich bin Teil der Koordination von Klimapolis und der Verwaltungsaufwand ist enorm. Da bleibt nur wenig Zeit für die eigentliche Tätigkeit“, so Hoelzemann. „Außerdem stehe ich den Bewertungsvorgaben für die Postgraduierung kritisch gegenüber, wie zum Beispiel die Dauer der Promotion und die Anzahl der Pflichtveranstaltungen, die sehr schwer wiegen. Dadurch verringert sich die Zeit, die man für gute Forschung braucht, stark.“  

 Internationalisierungsstrategie 

Der Leiter der Abteilung für internationale Beziehungen bei Capes gab einen Überblick über die Internationalisierungsstrategien der brasilianischen Fördereinrichtung und erwähnte das Ungleichgewicht zwischen den Forschenden, die aus Brasilien ins Ausland gehen und jenen, die aus dem Ausland kommen. „Das nationale Postgraduierungssystem ist robust und von international anerkannter Qualität. Wir stehen gerade am Übergang von einer von historischer Abhängigkeit geprägten Situation – dem Entsenden von Forschenden ins Ausland – hin zur Qualifizierung und Kooperation. Das ist es, worauf wir unserer Ansicht nach hinarbeiten sollten“, erläuterte Oppermann. 

Im Fokus stehen dabei unter anderem Stipendien für eine Sandwich-Promotion, denn die Promovierenden knüpfen während des Auslandsaufenthaltes wichtige Kontakte. Oppermann stellte Daten vor, denen zufolge Brasilien im lateinamerikanischen Vergleich weit hinter Argentinien und Mexiko liegt, was die Anzahl der ausländischen Studierenden betrifft. In der Kategorie Forschende aus anderen Regionen Lateinamerikas im Land schneidet Brasilien noch schlechter ab. Dies ist einer der Gründe, aus denen das Programm „Move la América“ ins Leben gerufen wurde, das zu mehr Auslandsaufenthalten von Masterstudierenden und Promovierenden aus den Ländern Lateinamerikas und der Karibik in Brasilien beitragen soll.  

Der Vertreter von Capes ging außerdem auf die brasilianische Wissenschaftsdiaspora im Ausland ein und bekräftigte, dass Capes und CNPq bemüht sind, brasilianische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich nach ihrem Stipendium dafür entscheiden, im Ausland zu bleiben, nicht benachteiligen wollen. „Ich bin kein Freund von dem Begriff Brain Drain – die Diaspora ist eine Möglichkeit zur Vernetzung mit im Ausland tätigen Direktoren, Forschenden und Laborleitern. Diese Personen können mit uns kooperieren, nicht nur in der Beratung, sondern auch bei der Aufnahme von Stipendiaten. Als ich in Tübingen war, lernte ich einen Krankenhausdirektor aus Rio de Janeiro kennen, der bereits über 400 brasilianische Stipendiaten aufgenommen hat. Das erzeugt eine enorme Resonanz und man stellt sich die Frage: Möchte ich, dass so jemand nach Brasilien zurückkehrt? Und die Antwort ist nein.“ 

 Offene Türen für ausländische Forschende  

Dalilia Oliveira merkte an, dass in der Verfassung von 1988 klar verankert ist, dass Brasilien Forschenden aus dem Ausland offensteht. „Seit 1996 ist es allen öffentlichen Hochschulen erlaubt, ausländische Lehrkräfte anzustellen. Jedoch ist uns klar, dass die Forschungsbedingungen in Brasilien noch verbesserungswürdig sind, wie auch Professor Hoelzemann erwähnte. Dieser Umstand wirkt sich im Vergleich zu anderen Ländern oft nachteilig für uns aus“, erläuterte sie.  

Eines der Hindernisse für die Aufnahme von Ausländern ist die Tatsache, dass Brasilien –  vermutlich, weil es ein großes und das einzige portugiesischsprachige Land in der Region ist eher mit sich beschäftigt ist. An unseren Einrichtungen mangelt es an fremdsprachigen Angeboten auf Englisch, die es in vielen anderen Ländern gibt. Die Sprachbarriere ist nach wie vor ein großes Problem“, so Oliveira. 

Darüber hinaus ist es dem Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation (MCTI), dem auch der CNPq untersteht, ein Anliegen, das Land als Kooperationspartner für im Ausland gebliebene brasilianische Forschende attraktiv zu machen. Oliveira erläuterte: „Wir haben die Aufgabe, das Programm Conhecimento Brasil ins Rollen zu bringen. Als Modell dient uns dabei die argentinische Initiative Raices, die während der Regierung unter Néstor Kirchner [2003-2007] eingeführt wurde. Die Idee dabei ist, dass die Forschenden nicht immer zwingendermaßen vor Ort sein müssen, um etwas beitragen zu können. In unserem Fall ist angedacht, dass die Forschenden, egal wo sie sich im Ausland aufhalten, mittels Netzwerkbildung, neuer Kontakte und der Aufnahme neuer brasilianischer Studierender kooperieren und unsere Programme hier unterstützen“. 

 Text: Rafael Targino