Forschungsbeginn für brasilianische Stipendiaten in Deutschland aufgrund der Pandemie verschoben

Unter normalen Umständen würde der Chemiker Osmando Ferreira Lopes seit Anfang Mai im Labor des Forschungszentrums Jülich arbeiten und dort seine Studien zur CO2-Reduzierung durchführen. Das Forschungsprojekt des Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) soll dazu beitragen, die Abhängigkeit der Gesellschaft von fossilen Brennstoffen zu verringern. Hauptziel des Projekts ist, ein elektrochemisches System zu entwickeln sowie geeignete Materialien zu finden, um Kohlendioxid in Kraftstoffe wie Methan und Ethanol umwandeln können. Die Pläne des jungen Wissenschaftlers erlitten durch die Covid-19-Pandemie allerdings einen herben Rückschlag.

Auf der ganzen Welt haben Universitäten sowie Forschungs- und Innovationszentren Forschungsprojekte beendet oder vorübergehend auf Eis gelegt, um Wissenschaftler, Mitarbeiter und Studenten zu schützen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, aber welche Auswirkungen hat die soziale Isolation auf die Welt der Wissenschaft? Welche Entscheidungen haben deutsche Lehr- und Forschungseinrichtungen angesichts der mit der Pandemie verbundenen Herausforderungen getroffen, und wie reagieren ausländische Studenten auf diese „neue Normalität“?

Um diese und andere Fragen zu beantworten, haben wir zwei brasilianische Stipendiaten interviewt, die ihre Studien in Deutschland durchführen wollen: der Chemiker Osmando Ferreira Lopes und die Datenwissenschaftlerin Jessica Voigt.

Lopes erhielt sein Stipendium über ein zwischen der AvH und der brasilianischen Institution Koordination zur Weiterbildung auf Hochschulebene (Capes) geschlossenes Abkommen, das 15 Stipendien der deutschen Stiftung für brasilianische Forscher vorsieht.

Jessica Voigt erhielt die Nachricht über die Genehmigung ihres ebenfalls von der Alexander von Humboldt-Stiftung geförderten Bundeskanzler-Stipendiums, als die Corona-Quarantänemaßnahmen bereits in Kraft waren. Sie wird an der Universität Münster eine vergleichende Studie zwischen Brasilien und Deutschland über die Auswirkungen der Verwendung frei zugänglicher Daten und der Transparenz bei der Umsetzung öffentlich-politischer Strategien entwickeln.

Die beiden Austauschwissenschaftler erzählten für unsere Reportage, wie es ist, sich einerseits über die Verwirklichung eines Traum zu freuen (im Ausland zu studieren) und andererseits mit den durch die Pandemie verursachten Sorgen und Ungewissheiten zu leben.

Osmando Ferreira Lopes im Labor bei der Vorbereitung von Proben für seine Forschungsarbeit

Forschungsbeginn verschoben

Osmando Ferreira Lopes, Professor am Chemischen Institut der Bundesuniversität Uberlândia (UFU), hält sich bereits seit Anfang März 2020 in Deutschland auf. Für die ersten beiden Monate war ein Deutsch-Intensivkurs geplant, dem sein Postdoktorat in Jülich, einer kleinen Stadt in Westdeutschland, folgen sollte. Allerdings wurde zwei Wochen nach seiner Ankunft ein Lockdown beschlossen, was nicht nur eine Verlegung des Deutschunterrichts auf virtuelle Ebene, sondern auch eine Verschiebung des Beginns seines Forschungsprojekts zur Folge hatte.

Seine im Wesentlichen experimentelle Forschungsarbeit begann erst Mitte Mai, als Deutschland nach der Zeit der sozialen Isolation sein Programm zur Wiederbelebung der Wirtschaft aufnahm. „Es ist unmöglich, Arbeiten zuhause durchzuführen, wenn man noch gar keine Ergebnisse erzielt hat. Ich habe also mein Projekt noch einmal überarbeitet und weiter studiert”, erzählt der Chemiker, der seine Freizeit nutzte, um seine Forschungsmethodik zu überprüfen, Artikel im Zusammenhang mit seinem Projekt zu lesen und neue Konzepte zu kennenzulernen. „In diesem Sinne war es sogar positiv – als würde man eine Zitrone erhalten (soziale Isolation) und aus ihr eine Limonade zubereiten”.

Mit dem Lockdown wurde auch die Eingewöhnung des Forschers an sein neues Arbeitsumfeld in Jülich hinausgeschoben. Als er seine Aktivitäten endlich aufnehmen konnte, fühlte er sich fehl am Platz. Er hatte Schwierigkeiten, sich im Forschungszentrum zurechtzufinden und wusste zunächst nicht, wo sich die Laboratorien und die für seine Forschung erforderlichen Geräte und Instrumente befanden. Erst Anfang Juni, nach einer 15-tägigen Eingewöhnungsphase, fühlte er sich in der Lage, mit den eigentlichen Arbeitsphasen seines Projekts zu beginnen. Hinzu kam ein weiteres Problem: die aufgrund der Pandemie im Forschungszentrum eingeführten Sicherheitsvorschriften.

Die neuen Regeln ließen nur einen Forscher pro Arbeitsraum zu und legten einen Sicherheitsabstand zwischen den in einem Labor tätigen Personen fest. „Manchmal brauchst du jemanden, der dir hilft – einen Professor oder einen Techniker. Aber so wurden Barrieren geschaffen, man durfte sich jetzt nicht mehr in der Nähe von anderen Menschen aufhalten”, beschreibt Lopes die Lage. Glücklicherweise steht dem UFU-Professor ein eigener Raum zur Verfügung, so dass er jeden Tag das Forschungszentrum besuchen kann. Um Laborarbeiten durchführen zu können, muss die Nutzung von Raum und Ausrüstung vorher eingeplant und angemeldet werden.

Datenwissenschaftlerin Jessica Voigt

Quarantäne bei der Einreise nach Deutschland

Jessica Voigt berichtet von ihrer Besorgnis im Hinblick auf die Auswirkungen der Pandemie. Als sie erfuhr, dass ihr Forschungsprojekt ausgewählt worden war, befand sie sich in sozialer Isolation im Haus ihrer Eltern in der brasilianischen Hafenstadt Santos (SP). „Als ich die Nachricht erhielt, dass ich das Stipendium erhalten hatte, war ich sehr glücklich. Aber schon wenige Minuten später kam die Sorge auf: „Und jetzt? Ich muss doch ein Flugzeug nehmen”.

Obwohl Voigt wusste, dass die Fluggesellschaften strenge Richtlinien einhalten, um eine Ansteckung zu verhindern, verspürte sie zunächst eine gewisse Angst – vor allem, weil die Fälle von Infizierten in Brasilien drastisch zunahmen, während Deutschland gerade die Lockdown-Phase überstanden hatte. Eine der Maßnahmen der Bundesregierung im Rahmen der EU-Politik besteht darin, Einreisende aus bestimmten Ländern in eine mindestens 15-tägige Quarantäne zu schicken. Das bedeutet, dass die Datenwissenschaftlerin wieder Tage der sozialen Isolation erleben wird, diesmal jedoch weit entfernt von ihrer Familie.

Eine weitere Sorge der Stipendiatin galt der ihr zur Verfügung stehenden Zeit, um alle vom Bundeskanzler-Stipendienprogramm angeforderten Unterlagen zu beschaffen. Angesichts der geschlossenen Ämter und Universitäten in Brasilien wurde aus einer ohnehin schon mühsamen Arbeit eine Herkulesaufgabe. „Das Gute ist, dass wir erst im Oktober mit den Forschungsaktivitäten in Deutschland beginnen werden. Der obligatorische zweimonatige Deutschkurs hat im Juli begonnen und findet über das Internet statt“, erläutert die Stipendiatin, die somit zusätzliche Zeit für die Beschaffung der notwendigen Unterlagen erhielt.

Eine neue Kultur, eine neue Sicht von der Welt

Obwohl er gerade erst zwei Wochen in Deutschland war, als dort die Maßnahmen zur sozialen Isolation begannen, reichte die kurze Zeit für Lopes aus, um einige kulturelle Unterschiede in Bezug auf Brasilien zu erkennen. Der junge Forscher hatte bis dahin keinerlei Beziehungen zu diesem Land.

Er war sofort beeindruckt von einem Gefühl der Sicherheit und Lebensqualität. Laut OECD-Index (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) geben in Deutschland etwa 73% der Menschen an, dass sie sich sicher fühlen, wenn sie nachts alleine auf der Straße sind. In Brasilien ist diese Zahl nicht einmal halb so groß: Nur 36% der Brasilianer fühlen sich nachts auf ihren Straßen sicher. In einer weiteren, 2018 veröffentlichten Umfrage der amerikanischen Beratungsagentur Mercer zur Bewertung der Lebensqualität in 231 Metropolen erscheinen sieben deutsche Städte unter den Top 30, während in dieser Rangliste keine einzige brasilianische Stadt erscheint.

Jessica Voigt beim Düsseldorfer Sommerfest, 2013

Und im Hinblick auf persönliche Beziehungen sieht er einen anderen Unterschied: „In Brasilien geben wir schnell klein bei und sagen, das wird schon wieder. Ich habe das Gefühl, dass die Leute hier direkter über das sprechen, was sie stört und was gegen die Regeln verstößt.”

Voigt hingegen kennt die deutsche Kultur schon etwas besser, da sie deutscher Abstammung ist und 2013 bereits eine kurze Zeit in Deutschland verbracht hat. „Ich bin mit meinen Eltern aufgewachsen, die mir einige Werte der deutschen Kultur vermittelt haben. Trotzdem werde ich in den ersten Wochen der Anpassung sicherlich auf einige kulturelle Hindernisse stoßen”, glaubt sie.

Jessica Voigt sieht im Klima das erste Problem, dem sie sich stellen muss. Die Stipendiatin wird dort im September ankommen, wenn sich in Europa der Sommer dem Ende zuneigt und mit dem Herbst die ersten Kälteeinbrüche kommen. Eine weitere Umstellung sieht sie in der Art miteinander zu kommunizieren. „Wir Brasilianer neigen dazu, laut zu sprechen, was in der deutschen Kultur eher nicht so elegant ist. Ich werde die Lautstärke meiner Stimme zügeln müssen”, sagt sie lachend.

Im Hinblick auf die Kommunikation gelten die Deutschen als objektiv und nüchtern. Für jemanden, der in der lateinamerikanischer Kultur aufgewachsen ist, wird dies oft als steif empfunden. Lopes ist beispielsweise der Ansicht, dass die Regeln der deutschen Ämter in Bezug auf Dokumente viel strenger sind als in Brasilien.

Aber die Genauigkeit der Deutschen erstrecke sich auch auf andere Gebiete, so der Postdoktorand. Deutschland werde weltweit als ein riesiges Forschungszentrum gesehen, und er sei positiv beindruckt von den Sicherheitsvorkehrungen und der millimetergenauen Organisation, die in Jülichs Laboratorien vorgeschrieben seien. Er werde bis zum Ende seines Stipendiums im April 2021 wohl noch viele andere Aspekte der deutschen Lebensweise kennenlernen, aber diese lehrreiche Erfahrung wolle er nach Brasilien mitnehmen.

Welche weitere Erfahrungen kommen hinzu?

Hinweisschild zum Mindestabstand zwischen Personen im Forschungszentrum Jülich

Eine weitere Erfahrung, die er aus Deutschland mitbringen werde, sei die Philosophie einer Wertschätzung von Wissenschaft und öffentlichen Universitäten. Eine Gewissheit hat der Forscher aus Uberlândia bereits, wenn er wieder nach Brasilien zurückkehren wird: er will das Bewusstsein seiner Mitmenschen für die Bedeutung der Wissenschaft schärfen und immer mehr junge Menschen dazu ermutigen, sich ihr zu widmen und sich auf diesem Gebiet weiterzuentwickeln.

Die Datenwissenschaftlerin hat ihren Austausch bisher zwar nur online mit dem Deutsch-Vorbereitungsfernkurs begonnen, aber sie hat bereits das Endergebnis ihrer Forschung und deren Auswirkung auf ihre Arbeit in Brasilien im Auge. Sie arbeitet mit der Hypothese, dass Datentransparenz dazu beiträgt, die Verwaltung interner Informationen in den Behörden zu verbessern. „Wenn man die Transparenz erhöht und Informationen für die Bürger zugänglich macht, ermöglicht man anderen Institutionen, die Umsetzung der öffentlichen Politik zu überwachen”, erklärt Jessica Voigt. Zu diesem Zweck wolle sie einen Vergleich im Hinblick auf öffentliche Politik und Datenzugang zwischen Brasilien und Deutschland ziehen.

„In dieser Hinsicht handelt es sich um zwei antagonistische Länder”, betont sie. In Deutschland werde eine sehr starke Debatte über den Datenschutz geführt, und das sei gut so, da aus diesen Argumenten Initiativen zur digitalen Sicherheit geschaffen werden. Voigt weist darauf hin, dass diese Debatte über den Datenschutz in Brasilien nicht so präsent sei. „Wir arbeiten jedoch mit einer soliden Politik im Hinblick auf freie Software in der Regierung, offene Daten und Transparenz. Unsere Gesetzeslage über den Zugang zu Informationen ist sehr weit fortgeschritten”, fügt sie hinzu.

Vor dem Erhalt des Stipendiums arbeitete die Wissenschaftlerin in der NGO Transparência Brasil. „Es ist sehr wichtig, dass Beamte Zugang zu diesen Studien haben. Meine Ziel ist, die Ergebnisse dieses Vergleichs so weit wie möglich zu verbreiten”, bekräftigt Voigt.

Von Beatriz Gatti e Karin Hetschko