Wie kann ein brasilianisches Bioraffinerieprojekt in der ganzen Welt zur Anwendung kommen?
Die Brasilianerin Caroline Weber, Gewinnerin des DAAD-Unternehmerpreises bei der Innovationswoche, will mit ihrer Idee der Bioraffinerie den Weltmarkt erobern und landwirtschaftlichen Familienbetrieben in ihrem Bundesland Rio Grande do Sul eine Zukunftsperspektive bieten.
„Es waren zwei wundervolle Erfahrungen, ich hatte nicht erwartet, dass das Jahr so gut verlaufen würde,” freut sich Caroline Trevisan Weber, Doktorandin in Chemieingenieurwesen an der Bundesuniversität Rio Grande do Sul (UFRGS), über ihre Teilnahme am Falling Walls Lab Brazil (FWLB) und an der vom DAAD veranstalteten Innovationswoche. Im September belegte Weber zwar den dritten Platz in der FWLB-Ausscheidung, gewann mit ihrem Pitch aber den Publikumspreis und den DAAD-Unternehmerpreis und somit die Möglichkeit, an der Innovationswoche teilzunehmen, bei der sie ebenfalls sowohl von der Jury als auch vom Publikum für die beste Präsentation ausgezeichnet wurde.
Die bahnbrechende Idee, die die junge Wissenschaftlerin in beiden Wettbewerben vorstellte, besteht darin, über die Installierung kleiner automatisierter und fernüberwachter Bioraffinerien Verschwendungen in der landwirtschaftlichen Produktionskette zu vermeiden. Ihr Vorschlag sieht vor, dass in diesen Bioraffinerien Abfälle, die in der Landwirtschaft derzeit nicht verwendet werden, in Produkte wie Ethanol umgewandelt werden, wodurch ein grünes und digitales Kreislauf-Geschäftsmodell entsteht.
In einem Exklusivgespräch mit dem DWIH São Paulo erzählt die Wissenschaftlerin, wie das Projekt zustande kam und wie ihre Idee den Weltmarkt erobern und landwirtschaftlichen Familienbetrieben in ihrem Bundesland Rio Grande do Sul unter die Arme greifen könnte. Lesen sie das nachfolgende Interview!
DWIH São Paulo: Wann haben Sie begonnen, sich mit Möglichkeit der Installierung ökologischer Bioraffinerien zu befassen?
Caroline Trevisan Weber: 2015 kam ich aus Santa Maria (RS) nach Porto Alegre (RS), um dort mein Masterstudium abzuschließen und einer interdisziplinären Forschungsgruppe an der Bundesuniversität Rio Grande do Sul (UFRGS) beizutreten, die sich seit 2012 mit Bioraffinerien auf der Basis von Süßkartoffeln befasste. In ersten Studien über verschiedene Biomassen und ihr Potenzial zur Umwandlung in ein konkurrenzfähiges Produkt war die Gruppe zu dem Schluss gelangt, dass Ethanol aus Süßkartoffeln gute Chancen hätte.
DWIH SP: Gab es noch einen anderen Grund, Süßkartoffeln als Studienobjekt zu wählen?
C. T. W .: Süßkartoffeln haben eine große Bedeutung für die Landwirtschaft in Rio Grande do Sul – 25% der Landesproduktion stammen aus dieser Region. Brasilien belegt wiederum den 16. Platz in der weltweiten Produktion dieses Lebensmittels. Hier im Bundesland haben wir eine dezentrale Struktur von landwirtschaftlichen Familienbetrieben bei der Kultivierung von Süßkartoffeln. Wir bemühen uns, eine Lösung für ein lokales Problem zu finden, die sich aber zu einer globalen Lösung entwickeln könnte.
DWIH SP: Hat die Gruppe neben der Ethanolproduktion aus Süßkartoffeln auch nach anderen Nebenprodukten, die aus dieser Biomasse gewonnen werden könnten, geforscht?
C. T. W.: Als ich Ende 2015 der Gruppe beitrat, hatte ich die Idee, ein destilliertes Getränk zu produzieren, um eine höhere Wertschöpfung zu erreichen. Zufälligerweise brachte Coca-Cola 2016 in Asien ihr erstes alkoholisches Getränk auf den Markt, ‘Chu-hi’, das Shochu als Basis verwendet – eine destillierte Flüssigkeit, die aus Süßkartoffeln und aromatisiertem Mineralwasser mit Kohlensäure hergestellt werden kann.
In Asien ist dies eines der am meisten konsumierten Getränke, aber sein Reifungsprozess dauert ungefähr 14 Tage. Mit unserem Prozess der Nutzung der Biomasse der lokalen Süßkartoffel konnten wir mit Hilfe von ebenfalls in Rio Grande do Sul hergestellter Bierhefe ein ähnliches Getränk in nur einem Tag herstellen. Damit reduzieren wir die Energie- und Produktionskosten des Prozesses. Das war der Abschluss meiner Masterarbeit.
DWIH SP: Welche Probleme hat die Dezentralisierung von Bioraffinerien gelöst?
C. T. W.: Da Biomasse dezentralisiert erzeugt wird – die Produzenten sind über mehrere Regionen in Rio Grande Sul verteilt –, ist der Transport zu einem einzigen Ort kostenaufwendig. Aus diesem Grund haben wir begonnen, die Idee der Dezentralisierung von kleinen Bioraffinerien im Container-Format weiter zu untersuchen. Mit dieser Idee haben wir die Logistikkosten gesenkt und den Transport des Produkts oder Nebenprodukts der Biomasse erleichtert. Es ist sogar möglich, den gesamten Produktionsprozess in dieser kleinen Bioraffinerie abzuschließen, wenn das Endprodukt Ethanol ist. Im Falle der Herstellung eines destilliertes Getränks, findet ein Teil des Prozesses in der Bioraffinerie und der andere in einer zentralen Raffinerie statt.
Durch die Dezentralisierung des Prozesses können wir zudem die ländlichen Produzenten stärker in die Produktion einbeziehen. Wir sind sehr darum bemüht, sie an diesem Prozess zu beteiligen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, Teil dieser Produktionskette zu sein. Diese Wertschätzung der Familienbetriebe kann auch ein anderes regionales Problem lösen: die Landflucht der Familien in kommenden Generationen. Wir sehen in diesem Projekt die Möglichkeit, Familien in dieser Technologie zusammenzuhalten und die Jüngeren in den Prozess einzubeziehen.
DWIH SP: Und was hat Sie motiviert, am Falling Walls Lab Brazil teilzunehmen?
C. T. W.: Mein Projektberater Jorge Otávio Trierweiler ist auf diese Idee gekommen – bis dahin waren mir weder der Wettbewerb noch die Tätigkeit des DWIH São Paulo bekannt. Ich gebe zu, dass mir zunächst etwas bange war, schließlich hatte ich noch nie einen Pitch auf Englisch vorgetragen. Aber ich habe mich bei den Leuten vom DWIH São Paulo und von Inova Unicamp, die das Pitch-Training durchgeführt haben, sehr wohl gefühlt. Und im Finale des Wettbewerbs habe ich dann mein Bestes gegeben.
DWIH SP: Wie haben FWLB und die Innovationswoche dazu beigetragen, das Projekt zu optimieren?
C. T. W.: Es waren zwei wundervolle Erfahrungen, ich hatte nicht erwartet, dass das Jahr so gut sein würde. Während der beiden Wettbewerbe definierte meine Gruppe einige mehr geschäftsorientierte Ziele. Wir haben uns zum Beispiel auf drei Kunden festgelegt: den Landwirt, den Industriellen und den Endverbraucher. Ausgehend von diesen Elementen haben wir als größten potenziellen Verbrauchermarkt in Rio Grande do Sul eine zentrale Region ausgemacht, in der sich ein Petrochemie-Zentrum und ein Teil der Pharmaindustrie befinden – mögliche Käufer von Süßkartoffelethanol. In der Zentralregion von Rio Grande do Sul ist auch die Teeindustrie angesiedelt, die einen Teil unserer Produktion zur Herstellung von Süßkartoffeltee verwenden könnte. Wir hatten festgestellt, dass dies ein weiteres Nebenprodukt der Raffinerie sein könnte, da hier in Brasilien Süßkartoffelblätter nicht konsumiert werden, obwohl sie wie Spinat einen hohen Nährstoffgehalt aufweisen.
Nachdem der Festlegung dieser Geschäftspunkte haben wir bereits einen Laborbetrieb geschaffen, noch nicht den eigentlichen Raffinerie-Container, aber alle notwendigen Geräte und Prozesse. Wir beteiligen uns an einer öffentlichen Ausschreibung, um finanzielle Mittel für den Bau eines Prototyps unserer Bioraffinerie zu erhalten. Es ist geplant, das dieser bis Ende 2021 fertiggestellt ist.
DWIH SP: Wie war es, an der Innovationswoche teilzunehmen? Was haben Sie dort gelernt?
C. T. W.: Die Innovationswoche gibt jemandem die Gelegenheit, in Programme und Inhalte einzutauchen, die sich auf den Geschäftsbereich konzentrieren. Die Wettbewerbsteilnehmer hatten Kontakt zu Spezialisten aus verschiedenen Geschäftsbereichen. Es gab zum Beispiel eine Stimmenanalyse der jeweiligen Pitch-Vorträge – so etwas hatte ich vorher noch nie gehört. Jedem Teilnehmer wurde ein Bericht zugesendet, in dem die Ausstrahlung seiner Stimme im Pitch bewertet und die Punkte aufgeführt wurden, die er verbessern könnte. Mein Pitch wurde als super charismatisch bewertet – sogar zu viel, über die Maßen (lacht).
Während des Wettbewerbs konnten wir auch andere Präsentationen deutscher Startups sehen und mehr über das Geschäftsmodell und das Business Model Canvas erfahren. Ich war übrigens beeindruckt, dass die Hälfte der Teilnehmer noch nie etwas von Canvas gehört hatte, was zeigt, wie weit die akademische Welt oft von der geschäftlichen Realität entfernt ist.
Abschließend möchte ich die Arbeit meines Coachs während des Wettbewerbs hervorheben, ein Profi von der Universität Aachen. Wir hatten tägliche Treffen und er hat mir sehr bei meinem Pitch geholfen, indem er theoretische Referenzen herausstellte und mir beim Design-Teil meiner Präsentation half.
DWIH SP: Wie haben die beiden Wettbewerbe FWLB und Innovationswoche zur Förderung der Vernetzung Ihrer Forschung beigetragen?
C. T. W.: Bei beiden Wettbewerben hatten wir Kontakt zu den anderen Teilnehmern, während der Innovationswoche außerdem zu Startups und Wissenschaftlern aus Deutschland. Da die Wettbewerbe ein breites Publikum erreichen, hatte ich einige gute Kontakte – Leute, die sich für unsere Idee interessierten. Ein Teilnehmer aus Mexiko, den ich auf der Innovationswoche kennengelernt habe, will unsere Lösung in seinem Land mit Maisbiomasse umzusetzen. Ein anderer Teilnehmer der Innovationswoche stellt eine Maschine her, die wir für einen Teil des Prozesses in unserer Bioraffinerie benötigen. Wir könnten eine Partnerschaft mit ihm eingehen.
Und der FWLB-Sieger Jonas Cunha da Silva hat mich dazu ermutigt, unsere Idee auch im Wettbewerb HackBrazil einzuschreiben – sein Unternehmen hat an der letzten Ausgabe teilgenommen. Das Finale des Wettbewerbs findet in den USA in Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) statt. Wir möchten diese globale Visibilität schaffen, weil wir erkennen, dass unsere Lösung nicht nur für Brasilien anwendbar ist.
Anmerkung der Redaktion:
Mitglieder der Forschungsgruppe sind neben der Interview-Partnerin Prof. Dr. Jorge Otávio Trierweiler (Berater), Professor Dr. Luciane Ferreira Trierweiler (Beraterin), Marina Trierweiler Willadino (Agronomie-Studentin an der UFRGS), Fabiane da Silva Angnes (Lebensmitteltechnik-Studentin an der UFRGS), Debora Gonçalves Carvalho (Ingenieurin für Agroindustrie und Agro-Chemie und Doktorandin in Chemieingenieurwesen) und Lucas Manique Raymundo (Chemieingenieur; Doktorand in Chemieingenieurwesen).