Universitätscampus als Labor für intelligente Städte
Brasilien und Deutschland suchen nach Strategien, um Elektrofahrzeuge zu propagieren und nachhaltige effiziente Städte zu implementieren.
Mit rund 50.000 Besuchern pro Tag (vor der Pandemie) kann der Campus der Landesuniversität Campinas (Unicamp) im Bundesstaat São Paulo mit einer kleinen Stadt verglichen werden. Die Herausforderung, den Campus zu verwalten, ist daher mit der Komplexität der Verwaltung von Gemeinden dieser Größenordnung vergleichbar, wobei sich knappe Mittel im Hinblick auf Finanzen und Personal sowie die Bürokratie als Haupthindernisse darstellen.
Angesichts der Diskussionen über Lösungen für nachhaltigere Städte erkannten die Unicamp-Forscher im Campus eine Art lebendes Labor zur Schaffung eines Modells für Energieeffizienz. So wurde 2017 in Zusammenarbeit mit dem Privatunternehmen CPFL Energia das Projekt „Nachhaltiger Campus” ins Leben gerufen.
Die in der Podiumsdiskussion: „Smart Cities: Mobility and Innovation”, des 9. Deutsch-Brasilianischen Dialogs über Wissenschaft, Forschung und Innovation vorgestellte Initiative beabsichtigt, mithilfe der Technologie Internet of Things (IoT) schrittweise Einsparungen bei den Stromkosten von Unicamp zu erzielen, wobei Geräte miteinander verbunden und Daten von mit dem Internet verbundenen Sensoren erfasst werden. Als Nebeneffekt des Nachhaltigen Campus erwartet Unicamp, die jährlichen Ausgaben der Universität für öffentliche Beleuchtung von derzeit 1,5 Mio. Reais auf 500.000 Reais zu senken.
„Alle Lampen des Projekts erhielten beispielsweise einen Fernbedienungssensor, über die wir ihren Betrieb aus der Ferne und in Echtzeit überwachen konnten“, erklärt Professor Luiz Carlos Pereira da Silva, Koordinator des Büros für das Sonderprojekt Nachhaltiger Campus von Unicamp. Mit anderen Worten, sollte bei einer der Lampen ein Problem auftreten, kann dies erfasst, untersucht und schnell repariert werden. „Ziel ist dabei, Daten zu sammeln, um Service und Energieeffizienz zu verbessern“, erläutert der Elektroingenieur, der zur Podiumsdiskussion der von DWIH São Paulo und Fapesp organisierten Veranstaltung eingeladen wurde.
Silva führt weiter aus, dass das Beleuchtungsprojekt zukünftig als Showroom für Stadtverwalter dienen wird, die an der Anwendung dieses Energieeffizienzmodells interessiert sind. „Wir werden an der Universität wir für diese Stadtverwalter anbieten, um diese für die Arbeit mit der neuen Technologie zu qualifizieren,” erläutert der Koordinator. „Die Universität erhält einerseits eine bessere Beleuchtungsstruktur, gibt aber andererseits ihre Erfahrungen und ihr Wissen an die Gesellschaft zurück.”
Schwierigkeiten bei der Implementierung von intelligenten Städten
Der Dialog zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Beamten ist leider nicht gang und gäbe – insbesondere in Schwellenländern. Für die Unicamp-Forscherin Thalita Dalbelo, Spezialistin für Smart Cities oder Intelligente Städte, schafft schon allein die wörtliche Übersetzung ins Portugiesische eine gewisse Distanz zur Gesellschaft und den Entscheidungsträgern für nachhaltigere und effizientere Städte.
„In Entwicklungsländern und insbesondere in Brasilien verläuft der Stadtplanungsprozess oft unvollständig. Um wirklich ein smartes Projekt zu sein, muss jeder Zugang haben und zur Datenerfassung beitragen”, erklärt die Spezialistin und Koordinatorin des Stadtentwicklungsplans bei Unicamp.
Wie Dalbelo erläutert, stellen die Kosten für die Implementierung der in intelligenten Städten verwendeten Technologien sowie der oft fehlende Zugang der Bevölkerung zu diesen digitalen Innovationen ein großes Hindernisse für den Fortschritt dar. Jeder vierte Brasilianer hat beispielsweise keinen Zugang zum Internet, wie aus Daten der letzten nationalen Erhebung über brasilianische Haushalte – Informations- und Kommunikationstechnologie (Pnad Continua TIC) von 2018 hervorgeht.
Höhere Steuern für umweltschädliche Autos
In Deutschland, einem Land, in dem 90% der Bevölkerung Zugang zum Internet haben, stößt die Debatte über Smart Cities auf Probleme anderer Art. „Wir haben gute Indikatoren für die Nutzung sauberer Energie, aber in anderen Politikbereichen für nachhaltigere Städte, insbesondere im Hinblick auf Mobilität, sind wir nicht gut”, betont Professor Andreas Löschel, Professor für Energie- und Ressourcenökonomik an der Universität Münster (WWU) und einer der Referenten beim 9. Deutsch-Brasilianischen Dialog über Wissenschaft, Forschung und Innovation.
Die als gute Fahrzeugbauer bekannten Deutschen sind sehr verliebt in ihre Autos. In der Rangliste über die Anzahl der Autos pro Kopf belegen sie weltweit den 21. Platz in der Welt, Brasilien kommt auf den 44. Platz. An dieser nationalen Leidenschaft zu rütteln ist daher keine leichte Aufgabe. Seit Anfang dieses Jahres ist jedoch der Steueranteil für den Kauf von Autos mit hohem Kraftstoffverbrauch gestiegen – auf der anderen Seite sieht das neue Gesetz die künftige Steuerbefreiung für Elektrofahrzeuge vor.
Löschel, der auch Leiter des Centrums für Angewandte Wirtschaftsforschung Münster (CAWM) ist, hält es für notwendig, auf unterschiedlichen Ebenen zu arbeiten, um die Effizienz dieser Programme sicherzustellen. „Es ist möglich, die Preispolitik zu nutzen, aber wir müssen auch mit den Menschen kommunizieren und sie davon überzeugen, Energie zu sparen und neue Verhaltensweisen zu übernehmen.” Der Ökonom erklärt, dass es in Deutschland heute nicht mehr gesellschaftlich akzeptabel ist, mit dem Auto kurze Strecken zu fahren, beispielsweise zur Bäckerei um die Ecke.
„Wir haben festgestellt, dass es besser ist, verschiedene Vorgehensweisen zu kombinieren, um im Hinblick auf intelligente Städte mehr Fortschritte zu erzielen“, betont Löschel. Der CAWM-Leiter weist auch darauf hin, dass einige dieser Maßnahmen, die in Deutschland vielleicht sehr gut funktionieren, in Ländern wie den USA oder Brasilien möglicherweise nicht die gleiche Akzeptanz erreichen, da soziale Normen und Konsummuster zwischen den Nationen unterschiedlich sind.
Die Teilnahme an der Veranstaltung, die vom 17. bis 20. Mai jeweils von 15 bis 18 Uhr (in Deutschland) bzw. von 9 bis 13 Uhr (in Brasilien) stattfindet, ist kostenlos. Interessenten sollten sich unter dem Link https://bit.ly/2P3fUx4 registrieren. Weitere Informationen zu Themen und Referenten finden Sie auf der Landingpage der Veranstaltung.