Radtke: “unglaublich, was Fritz Müller alles entdeckt hat, als er barfuß durch den Urwald lief”

Ein Wissenschaftler, der die Details in seiner Umwelt sehr genau beobachtete. So beschreibt der Forscher Rainer Radtke von der Universität Tübingen den deutsch-brasilianischen Naturforscher Fritz Müller (1822-1897) in seinem Vortrag „Fritz Müller – Auswanderer, Biologe und Naturforscher” am 28. Juli im Rahmen des in der Universität Brasília (UnB) veranstalteten 74. Jahrestreffens der Brasilianischen Gesellschaft für den Fortschritt der Wissenschaft (SBPC). Das Event wurde vom Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo anlässlich des 200. Geburtstags des Forschers organisiert.

In seinem Vortrag vor rund 40 Zuhörerinnen und Zuhörern im Amphitheater 9 der Universität stellte Radtke Müllers Leben und Werk vor – von seiner Geburt in Windischholzhausen (heute ein Stadtteil von Erfurt) über seine Entdeckungen in Brasilien bis zu seinem Tod in Blumenau im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina.  Müllers Forschung wurde von Charles Darwin in dessen Studien zur Evolution der Arten gewürdigt.

Radtke beschloss vor einem Jahrzehnt, also anlässlich Müllers 190. Geburtstags, das Leben des Naturforschers genauer zu untersuchen. „Ich wollte wissen, warum es Fritz Müller ausgerechnet nach Blumenau verschlagen hat. Also habe ich nachgeforscht, um herauszufinden, wie es dazu kam. Ich bin in die Stadt gereist und habe das Buch „Ein Deutscher in den Tropen” [von Hermann Blumenau] gelesen. Außerdem hatte ich 2010 einen Radiobeitrag zur Stadtgründung gehört und begonnen, alte und neue Fotografien der Stadt zu suchen”, erzählt der Forscher.

Lebensweg

Johann Friedrich Theodor Müller, so hieß Fritz mit vollem Namen, wurde 1822 geboren und wanderte im Alter von 30 Jahren nach Brasilien aus, desillusioniert von den politischen und religiösen Problemen einer Region, die später einmal Deutschland genannt werden sollte. Aus dem Pastorensohn wurde ein Atheist, der, so Radtke, sein Medizinstudium in Deutschland nicht beendete, weil er sich weigerte, am Ende des Studiums den Eid zu leisten, Gott zu dienen.

So zog es ihn nach Desterro (heute Florianópolis), wo er brasilianischer Staatsbürger wurde und elf Jahre lang, von 1856 bis 1867, als Professor am Liceu Provincial lehrte. Nachdem er Darwins „Die Entstehung der Arten” gelesen hatte, begab sich der Forscher auf die Suche nach Beweisen, die die Theorie des britischen Naturforschers in der Praxis belegen sollten.

Der Forscher registrierte zahlreiche Beobachtungen in der Fauna und Flora des Atlantischen Regenwaldes in der Umgebung der Städte Blumenau und Florianópolis. Müller widmete seine Studien vor allem wirbellosen Lebewesen wie Krustentieren, Quallen und Insekten. Er untersuchte aber auch die Wechselbeziehungen zwischen Insekten und Pflanzen und beobachtete eingehend den Inquilinismus von Orchideen und Bromelien.

Briefe und Studien

Müller erstellte 266 wissenschaftliche Studien – 253 davon in Brasilien.  Mindestens 37 davon hielt er in Briefen fest, die er an seine Naturforscherkollegen schickte, damit sie sie in europäischen und nordamerikanischen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichen konnten.

Diese Forschungen führten dazu, dass ein von ihm beobachtetes Naturphänomen nach ihm benannt wurde: das Müllersche Mimikry. Es handelt sich um ein Beispiel der natürlichen Selektion, bei dem zwei verschiedene Arten davon profitieren, dass sie einige Ähnlichkeiten untereinander aufweisen, sei es aufgrund ihrer physischen Erscheinung oder weil sie denselben Lebensraum teilen.

„Darwin gefiel, was Müller schrieb, so gut, dass er allem zustimmte”, erzählt der Tübinger Wissenschaftler. „Die umfangreichen Beobachtungen und Veröffentlichungen Müllers veranlassten Charles Darwin dazu, ihn den Prinzen der Naturbeobachter zu nennen. ,Es ist unglaublich, was dieser Mann alles entdeckt hat, als er barfuß durch den Urwald lief’”, zitiert Radtke den englischen Fortscher.

Die beiden schrieben sich gegenseitig rund 60 Briefe, tauschten Erfahrungen und Ergebnisse von Beobachtungen und Recherchen aus – und das mit einem ganz aktuellen Anliegen. „In Müllers Briefen sieht man, dass es schon damals Menschen gab, die sich dafür einsetzten, die Umwelt zu schützen und nicht zu verwüsten. Ideen, die wir heute als modern bezeichnen, gehörten schon vor 170 Jahren zu seinen Überzeugungen”, schloss Radtke seinen Vortrag ab.

Neben dem Vortrag organisierte das DWIH während der T&C Expo auch die Ausstellung „Fritz Müller: Der Prinz der Beobachter”, die während des Jahrestreffens für die Öffentlichkeit zugänglich war. Die vom Martius-Staden-Institut bereitgestellten Tafeln zeigten Fakten über den Lebensweg und die wissenschaftliche Arbeit des deutsch-brasilianischen Naturforschers.