Vertreter des DAAD: Zahlen zeigen Normalisierung der Studienbedingungen für Ausländer in Deutschland nach 2 Jahren Pandemie
Wie in den vergangenen beiden Jahren hat der DAAD im Dezember eine Schnellumfrage zur Zahl der internationalen Studierenden in Deutschland durchgeführt, an der sich bundesweit 180 Hochschulen beteiligt haben. Auf Basis der Antworten prognostiziert der DAAD einen weiteren Anstieg der Studierendenzahlen, sowohl bei den Neuimmatrikulierten als auch bei der Gesamtzahl der ausländischen Staatsangehörigen. Im Interview erläutert Jan Kercher, Projektleiter der Jahrespublikation “Wissenschaft Weltoffen”, unter anderem, warum es eine gute Nachricht ist, dass die Gesamtzahl der internationalen Studierenden im Vergleich zum letzten Wintersemester deutlich weniger gestiegen ist.
Herr Kercher, was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Ergebnisse der diesjährigen Erhebung zu den internationalen Studierendenzahlen im laufenden Wintersemester?
Nach unseren Hochrechnungen werden wir sowohl bei der Gesamtzahl der internationalen Studierenden als auch bei der Zahl der ausländischen Studienanfänger voraussichtlich einen neuen Höchststand erreichen. Nach dem Rückgang der Studienanfängerzahlen während der Coronavirus-Pandemie im Wintersemester 2020/21 ist das eine sehr gute Nachricht. Zwar war die Zahl bereits im vergangenen Wintersemester wieder angestiegen, lag aber immer noch unter dem Niveau vor der Pandemie. Jetzt, im Wintersemester 2022/23, werden wir voraussichtlich rund 80.000 internationale Studierende an deutschen Hochschulen haben, das sind etwas mehr als im Wintersemester 2019/20, vor Beginn der Pandemie.
Auch die Gesamtzahl der internationalen Studierenden ist wieder gestiegen, wenngleich wir davon ausgehen, dass der Anstieg geringer ausfallen wird als im letzten Wintersemester. Damals lag er bei rund 8 % – jetzt dürfte er wohl die Hälfte davon erreichen. Aber das ist eine gute Nachricht: Die hohe Gesamtzahl im letzten Wintersemester war vor allem darauf zurückzuführen, dass viele internationale Studierende ihre Abschlüsse wegen der Pandemie verzögert haben. Es gab eine Art Rückstau an Absolventen. Und dieser Rückstau scheint sich nun aufgelöst zu haben. Dafür spricht der relativ geringe Anstieg der Gesamtzahl der internationalen Studierenden und die deutlich höhere Zahl der internationalen Absolventen bereits im Prüfungsjahr 2021 [Wintersemester 2020/21 plus Sommersemester 2021]. Viele Studierende scheinen inzwischen ihr Studium erfolgreich abgeschlossen zu haben. Die Zahlen deuten also auf eine Normalisierung der Studienbedingungen nach den letzten beiden Jahren der Pandemie hin, die für viele Studierende, insbesondere für internationale Studierende, sehr herausfordernd waren. Als DAAD freuen wir uns natürlich über diese Nachricht.
Wie erklären Sie sich diese rasche Erholung der Zahl der Erstsemester?
Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Zum einen ist die Zahl der Gast- und Austauschstudierenden, die nur ein oder zwei Semester in Deutschland verbringen, zu Beginn der Pandemie um etwa die Hälfte zurückgegangen. Sie hat sich aber auch fast genauso schnell wieder erholt, nachdem die meisten pandemiebedingten Reisebeschränkungen vorbei sind. Aus Sicht des DAAD ist dies natürlich sehr positiv, denn es zeigt, dass die temporäre Auslandsmobilität im Rahmen des Studiums oder des Programms Credit Mobility durch die Pandemie offensichtlich keinen langfristigen Schaden genommen hat. Dies gilt für Deutschland als Gastland, aber auch für die meisten anderen wichtigen Gastländer, in denen es keine Einreisebeschränkungen mehr gibt. Wahrscheinlich ist die Nachfrage nach solchen Aufenthalten derzeit sogar höher als vor dem Coronavirus, da viele Studierende, die in den letzten beiden Jahren nicht ins Ausland gehen konnten, diese Aufenthalte nun nachholen.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund für die rasche Erholung der Zahlen, der diejenigen betrifft, die ihr gesamtes Studium in Deutschland absolvieren: Auch die Zahl der internationalen Erstsemester auf Master-Ebene hat sich sehr schnell von den Auswirkungen des Coronavirus erholt. An gut einem Fünftel der Hochschulen ist diese Zahl nach unserer Erhebung um mehr als 10 % gestiegen. Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zur Entwicklung der Zahl der internationalen Bachelor-Studierenden, wo sich die Neueinschreibungen viel langsamer erholen. Die Erklärung dafür ist, dass viele internationale Studierende aus Nicht-EU-Ländern zunächst Vorbereitungskurse für den Bachelor-Abschluss absolvieren müssen. Und da diese in der Regel ein Jahr dauern, rechne ich erst im kommenden Wintersemester mit einer deutlicheren Erholung der Zahlen in den Bachelorstudiengängen.
Letzte Frage: Wie sieht es mit den wichtigsten Herkunftsländern der internationalen Studierenden in Deutschland aus?
Generell kann man sagen, dass sich die Entwicklungen der letzten beiden Jahre bei den Herkunftsländern fortsetzen, insbesondere bei den beiden wichtigsten, China und Indien. Während mehr als 40 % der Hochschulen einen Rückgang der Zahl der Erstsemester aus China und nur 20 % einen Anstieg melden, sind die Ergebnisse in Bezug auf Indien umgekehrt. Hier melden über 50 % der Hochschulen steigende Zahlen und weniger als 20 % sinkende Zahlen. Das bedeutet, dass die Bedeutung Indiens als Herkunftsland für internationale Studierende in Deutschland wieder stark zunimmt, während die Bedeutung Chinas als Herkunftsland weiter abnimmt. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, wird Indien voraussichtlich innerhalb der nächsten zwei Jahre China als wichtigstes Herkunftsland ablösen.
Unter den anderen acht der zehn wichtigsten Herkunftsländer verzeichnet nur der Iran einen ähnlich starken Anstieg wie Indien. Auch hier meldet fast die Hälfte der Universitäten steigende Zahlen, während nur ein Fünftel Rückgänge meldet. Neben China scheinen auch Syrien und Russland starke Rückgänge zu verzeichnen. Auch im Falle des Iran, Syriens und Russlands zeigt sich, dass sich Entwicklungen fortsetzen, die so oder ähnlich bereits in den letzten Jahren zu beobachten waren.
Quelle: Wissenschaft weltoffen