System zur Messung von Suchtpotenzial in sozialen Netzwerken gewinnt DWIH-Startups Connected-Wettbewerb 2024

© Thomas Arntz

Das Projekt von Denis Tuzsus, Wissenschaftler im Bereich Computational Neuroscience, und der Kognitionswissenschaftlerin Dana Pietrallaein System, das Nutzern das Suchtpotenzial von Inhalten auf Social-Media-Plattformen anzeigt – wurde von der Jury als Gewinner des Startups Connected-Wettbewerbs mit dem Thema „Artificial Intelligence: Spotlight on People and Society“ ausgewählt. Die Veranstaltung wurde vom Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo gefördert und von der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer (AHK Brasilien) durchgeführt. Die Entscheidung fiel in der ersten Augusthälfte nach einer Pitch-Session mit den teilnehmenden Startup-Unternehmen.   

Die Anwendung namens „paged.ai“ basiert auf einem Punktesystem und nutzt künstliche Intelligenz, um die Nutzer in der Erkennung von psychologisch mehr oder weniger problematischen Inhalten („schnelle“ bzw. „langsame“ Medieninhalte) zu unterstützen: Ein YouTube-Video mit vielen und schnelleren Schnitten gilt als psychologisch schädlicherer Inhalt und somit als süchtig machend, da es die Ausschüttung von immer mehr Dopamin im Gehirn anregt. Die Idee hierbei ist es, eine Skala von A bis E zu erstellen, wobei „A“ für die langsamsten, am wenigsten süchtig machenden und informativsten Inhalte steht und „E“ für die schnellsten, am meisten süchtig machenden und schädlichen, in Anlehnung an die Konzepte „Fast Food“ und „Slow Food“ im Ernährungssegment. 

Zur Klassifizierung verwendet paged.ai die Erkennung von Schnitten und Modellierungen zur Aufmerksamkeitsspanne und Verarbeitung. Auf dieser Grundlage kann mithilfe der künstlichen Intelligenz festgestellt werden, ob ein Video schädlich ist oder nicht. Potenziell könnte die Plattform vorerst rund 200 Millionen Nutzer in Brasilien und Deutschland erreichen – ein Markt im Wert von 30 Millionen US-Dollar. Die Entwickler von paged.ai gehen von einem Gesamtmarkt von mehr als 5 Milliarden US-Dollar aus. 

Anfänglich soll das System für YouTube-Videos eingesetzt werden und die Nutzung anschließend auch auf soziale Netzwerke ausgeweitet werden. Schätzungen zufolge verbringt der durchschnittliche Nutzer dieser Plattform jährlich etwa einen Monat mit dem Ansehen von Videos, was sich in einem Produktivitätsverlust im Wert von rund 1,4 Billionen US-Dollar und einer daraus entstehenden Belastung für das Gesundheitssystem in Höhe von ca. 3 Billionen US-Dollar niederschlägt. 

Tuzsuz freute sich über die Auszeichnung und sieht großes Potenzial auf dem brasilianischen Markt. „Die konkurrierenden Projekte waren ebenfalls sehr vielversprechend und wir sind stolz auf dieses Ergebnis und sehr dankbar für diese Chance. Brasilien verzeichnet die dritthöchsten Nutzerzahlen bei YouTube weltweit und wir hoffen, dass wir hier unsere ersten Nutzer finden werden, die uns ein Feedback zur Optimierung der Plattform geben können. Außerdem möchten wir uns gern mit einigen brasilianischen Universitäten austauschen, deren Schwerpunkt auf Informatik, künstlicher Intelligenz und Forschung zum Suchtpotenzial sozialer Netzwerke liegt, und Anregungen für unseren zukünftigen Weg finden“, erklärte er.  

Die Auszeichnung beinhaltet eine einjährige Mitgliedschaft für paged.ai bei der AHK Brasilien, Unterstützung bei der Suche nach potenziellen Partnern und der Vermittlung von Kontakten vor Ort sowie eine brasilienweite, einwöchige Roadshow, um mögliche Partnerunternehmen kennenzulernen, die von der AHK und dem Startup gemeinsam ausgewählt werden. 

Jury 

Die Jury bestand aus Marcio Weichert, Leiter der Programmarbeit des DWIH São Paulo; Sören Metz, Leiter des Verbindungsbüros der TUM in São Paulo und DWIH-Beiratsvorsitzender; Bruno Zarpellon, Leiter der Innovations- und Nachhaltigkeitsabteilung der AHK Brasilien; Adriana Camargo, Professorin und Forscherin im Bereich künstliche Intelligenz und Analytics am Institut für Technologieforschung (IPT) und João Papa, ordentlicher Professor am Institut für Informatik an der bundesstaatlichen Universität  Universidade Estadual Paulista Júlio de Mesquita Filho (Unesp) in Bauru. 

Weichert wies darauf hin, dass das Gewinnerprojekt aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen adressiert. „Ich war wieder einmal sehr beeindruckt von der Qualität unserer Finalisten. Die Jury wählte die Initiative mit der ausgereiftesten Idee für den brasilianischen Markt aus, die darüber hinaus noch dazu beiträgt, Krankheiten wie Angststörungen und Depression zu bekämpfen, die durch übermäßige Nutzung der sozialen Netzwerke entstehen und nicht nur in Brasilien ein Problem sind“, betonte er. 

Neben paged.ai wurden der Jury während der Pitch-Session drei weitere Projekte vorgestellt: into-Waves, das die Entwicklung eines durch künstliche Intelligenz unterstützten Netzwerks vorsieht, um ein Hörgerät mit einfachen und kostengünstigen Materialien zu herzustellen; Hybrid AI von Ocos Solutions, das darauf abzielt, Fragen der Transparenz und Kontrolle im Bereich künstliche Intelligenz zu lösen; und Pollinations.AI, das den Zugang zu fortgeschrittenen KI-Tools für alle ermöglichen soll, insbesondere bei der Erstellung von Bildern, Audio und digitalen Zwillingen. 

Text: Rafael Targino