Mecila-Symposium zu politischen Maßnahmen im Bereich Pflege und Betreuung diskutiert Sichtbarkeit und Erfahrungen des Bereichs
Am 14. und 15. Oktober versammelten sich Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Regierungen an der Universität São Paulo, um ein in der Politik oft vernachlässigtes Thema zu diskutieren: die Pflege und Betreuung. Das internationale Symposium „Care that Matters, Matters of Care: Overcoming inequalities through care policies“ wurde im Rahmen des G20-Vorsitzes von Brasilien im Jahr 2024 vom Maria Sibylla Merian Centre Conviviality-Inequality in Latin America (Mecila) durchgeführt und ist Teil der Diskussionen, die von der aus Think Tanks der G20-Mitglieder bestehenden T20-Gruppe angestoßen wurden.
Die Veranstaltung wurde vom Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo und der USP-Agentur für Nationale und Internationale Zusammenarbeit in der Wissenschaft (Aucani) gefördert. Im Rahmen von drei Panels diskutierten Expertinnen und Experten aus Brasilien, Deutschland, Uruguay, Argentinien und Mexiko die Sichtbarkeit der Pflege- und Betreuungspolitik und wie diese stärker ins Blickfeld der politischen Agenda gelangt. Außerdem tauschten sie ihre Eindrücke hinsichtlich Erfolgen und Herausforderungen von Maßnahmen aus, bei denen das Thema Pflege und Betreuung im Mittelpunkt der Sozialpolitik stand. Alle Panels wurden ausschließlich von Frauen besetzt und moderiert.
Auf dem YouTube-Kanal des Mecila können die Panels angesehen werden
Die Eröffnung wurde moderiert von Laura Flamand (El Colegio de México/Mecila) und beinhaltete Grußworte und Beiträge von Nina von Sartori (Deutsche Botschaft in Brasilien), Sérgio Proença (Aucani-Präsident), Adrian Lavalle (Brasilianisches Zentrum für Analyse und Planung – Cebrap), Sérgio Costa (Freie Universität Berlin/Mecila) und Marcio Weichert (DWIH São Paulo). Im Anschluss fand eine Podiumsdiskussion zur Schnittstelle zwischen Pflege/Betreuung und Ungleichheit im Laufe der Zeit statt. Dabei sollten auch mögliche Lösungsansätze für die Probleme in dem Bereich gefunden werden, insbesondere für Lateinamerika.
Karina Batthyány, Professorin an der Universidad de la República (Uruguay) und aktiv im Lateinamerikanischen Rat der Sozialwissenschaften (CLACSO), berichtete von den Stärken und Schwächen des Sektors in ihrem Land. „Uruguay hat als erstes Land in Lateinamerika vor fast zehn Jahren ein nationales und integriertes Pflege- und Betreuungssystem geschaffen. Der erste Erfolg war meiner Ansicht nach das Umdenken von Pflege und Betreuung als rein private und weibliche Angelegenheit hin zu deren Anerkennung als ein Recht. Zweitens hat das Servicesystem zu einer Verbesserung der Versorgung geführt und drittens hat ein kultureller Wandel stattgefunden. Zu den Schwierigkeiten ist zu sagen, dass sich zwar die Wahrnehmung geändert hat, Frauen aber weiterhin zum Großteil die Pflege und Betreuung übernehmen. Außerdem stagnierten die Leistungen nach dem konservativen Regierungswechsel in Uruguay“, führte sie aus.
Neben Batthyány diskutierten Barbara Potthast (Universität zu Köln/Mecila), Nadya Araújo Guimarães (USP) und Encarnación Gutiérrez-Rodríguez (Goethe-Universität Frankfurt am Main).
Die ersten zwei Panels
Das erste Panel mit dem Thema „Making Care Visible“ widmete sich Strategien zur Wertschätzung von Pflege- und Betreuungstätigkeiten und relevanten Aspekten je nach Lebensabschnitt und sozialer Situation. Das Panel bestand aus den Vortragenden Priscila Vieira (Cebrap), María Eugenia Rausky (Nationale Universität La Plata), Talja Blokland (Humboldt-Universität zu Berlin/Mecila) und Landy Sánchez (El Colégio de México) sowie den Diskussionsteilnehmerinnen Luiza Nassif Pires (Unicamp) und Eugenia Brage (Universität Buenos Aires/Mecila).
Blokland stellte ihren Artikel „Zwischen institutioneller und häuslicher Logik: Symbolisches Kapital in der gemeinschaftlichen Entwicklung in einem sozial schwachen Berliner Stadtteil“ vor. In ihrer Arbeit untersucht sie im Rahmen eines Programms namens „Stadtteilmütter“ die von ihr als „Missverhältnis“ bezeichnete Situation zwischen dem, was getan wird, und was man in einer Wohnsiedlung in der deutschen Hauptstadt erwartet. „Das Programm folgt der institutionellen Logik, dass Frauen aus ärmeren Schichten in bestimmten Stadtvierteln dabei unterstützt werden müssen, ihre elterlichen Fähigkeiten zu verbessern. Eine der Mitarbeiterinnen erzählte uns, dass viele Frauen davor zurückschrecken, ihre Probleme mitzuteilen, weil sie staatliche Eingriffe fürchten. Die „Stadtteilmütter“ sollten daher einen sozialen Raum schaffen, in dem Dinge ohne Angst einerseits vor Rufschädigung in der häuslichen Logik der jugendlichen Gemeinschaft und andererseits ohne Konsequenzen seitens des Staates gesagt werden konnten“, erläuterte sie.
Nach einer Session zum Thema Studieren und Forschen in Deutschland mit Vorträgen des DWIH São Paulo und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) startete das zweite Panel, in dem es um unterschiedliche Strategien ging, die die Pflege und Betreuung mittels politischer Maßnahmen aus dem privaten in den öffentlichen Bereich überführen können. Raquel Rojas (Freie Universität Berlin/Mecila) und Laura Flamand präsentierten die Studie „Pflege und Betreuung in Zeiten der Polykrise: Auswirkungen auf Zusammenleben und Ungleichheit“, die die Städte Buenos Aires, Mexiko-Stadt und Berlin während der Pandemie dahingehend vergleichend analysierte.
„Als Erstes untersuchten wir die Auswirkungen der Pandemie auf das Familieneinkommen. In Berlin wurde dabei von einer recht hohen Stabilität berichtet, was einen starken Gegensatz zur Situation in den lateinamerikanischen Ländern – insbesondere in Mexiko-Stadt – darstellt. Auf die Frage hin, wer die Kinderbetreuung übernahm, fielen die Antworten in den drei Ländern ziemlich klar und ähnlich aus, was auf die Ungleichheit in Bezug auf die Betreuenden hindeutet. Als wir fragten, wo diese Betreuung stattfand, bekamen wir tiefe Einblicke in die Lebenssituationen in allen drei Städten. Die Ergebnisse zeigen, wie sich soziale Ungleichheit in verschiedenen Kontexten wiederholt und die Pandemie fungiert dabei wie eine Lupe, die diese noch weiter vergrößert“, so Rojas. An dem Panel nahmen Eryka Galindo (Universität Heidelberg), Regina Stela Vieira (Cebrap/Unifesp) und Jana Silvermann teil (UFABC) sowie Miriam Nobre (Sempreviva Organização Feminista) und Isadora Xavier do Monte (Mecila) als Diskutierende.
Erfahrungsaustausch
Das dritte und letzte Panel bot eine Gelegenheit zum Austausch positiver und negativer Erfahrungen hinsichtlich politischer Maßnahmen in Bezug auf Pflege und Betreuung in der Region Lateinamerika. Die Runde bestand aus Mariana Mazzini (Nationale Behörde für Pflege- und Familienpolitik der brasilianischen Regierung), Laura Pautassi (Conicet/Universität Buenos Aires) und Patricia Padilla (UN Women Latin America and Caribbean). Guita Grin Debert (Unicamp) und Lorena Hakak (Fundação Getúlio Vargas) fungierten als Diskussionsteilnehmerinnen.
Padilla betonte, dass normative und politische Fortschritte im Bereich Pflege und Betreuung in Lateinamerika gemacht wurden und ist der Ansicht, dass der Staat in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle für die Gesellschaft einnimmt. „Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass es noch weitere Akteure mit entsprechenden Funktionen gibt, beispielsweise eine gerechtere Aufgabenverteilung zwischen Männern und Frauen innerhalb der Familie. Der Staat wiederum unterstützt und stärkt die entsprechenden Aktivitäten der Gemeinschaften und der Privatsektor ist zuständig für das Dienstleistungsmanagement. Und abschließend – und auch am wichtigsten – sind da die sozialen Akteure, die sozialen Organisationen, die Wissenschaft und die Berufstätigen, die dafür verantwortlich sind, politische Maßnahmen anzustoßen und diese auch zu begleiten. Das ist besonders bei einem Regierungswechsel äußerst wichtig“, bekräftigte sie.